Haut (2022)


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Die Haut. Als äusserte Schicht der menschlichen Existenz, als Grenzorgan, Übergangsgewebe zwischen der Umwelt und dem Inmensch, als sichtbares Mal, dem wir oft so viel Bedeutung zuweisen, das zuordnet, einordnet, vereint und trennt. Beflaumt, befellt, befedert, dann: abgezogen, gegerbt und erledert. Eine zweite Haut, eine dicke Haut - mit ihr sind wir Teil der sich zersetzenden Natur.
Sind im Innern vielleicht alle gleich?

Keine Niere, kein Herz, kein Darm unterscheidet sich so offensichtlich von deren anderer wie die Haut. Sie ist einzigartig. Gepunktet, geschrattet, fettig, mürbe, zart, saftig, heiss, nass, kalt, eitrig, krümelig, rau, runzlig, roh. Ein Organ mit maximal denkbaren Unterschieden in Struktur, Form und Aussehen.

Eingepackt sind wir von dieser Hülle, die uns umschliesst. Oder einschliesst? - Eigentlich ist sie ja überall. Nicht ganz dicht. Wie fühlt sie sich an? In der Kniekehle gleich wie an der Nase? An den Innenschenkeln gleich wie am Schulterblatt? Um den Bauchnabel gleich wie am grossen Zeh? Wie fühlen wir durch sie?

Manchmal, wie eine Trommel gespannt, klingt sie. Und da dünkt mich, dass die ganze Wahrheit weder von tief innen noch von weit aussen komme, sondern genau da, auf dem Augenblick der Berührung entstünde, genau jetzt im Moment, wenn Sie zuckt, grollt, sich kr&aauml;uselt beim Zusammentreffen beider Seiten, eine tiefere Wahrheit als ich mir je wünschen könnte.

In meinem Stück interessiere ich mich für meine eigene Haut. Ich begebe mich auf eine klangliche Forschungsreise mit meinem grössten Organ und versuche ganz genau hinzuhören.


© Lilian Beidler 2023